Ursprung und früheste Entwicklung

von Markneukirchen

 

 

 Der Ursprung Markneukirchens war bisher in Dunkel

gehüllt. Erst Dr. E. Pietsch gelang es, einigermaßen Licht

in seine früheste Geschichte zu bringen. Da kaum noch

zu hoffen ist, das eine Urkunde hinreichend Aufschluss

schaffen werde, müssen wir uns bescheiden, in bloßen

z. T. mutmaßlichen Umrissen des Ortes früheste Geschichte

zu zeichnen.

Markneukirchen ist als Siedlerdorf entstanden. In der weiträumigen

Talmulde des Schwarzbachs (1122 alestra secunda —

sancta — 1165 a. minor, kleine oder heilige Elster), eine

Wegstunde oberhalb seiner Mündung, ließen sich, wohl im

13. Jahrhundert, bayrische Siedler nieder, die an der

Sonnenseite des Tales ihre Höfe errichteten und die nördlichen,

bald wohl auch die südlichen Talhänge unter den

Pflug nahmen. Sie nannten ihren Ort Nothaft. Noch 1378

lebte dieser Name im Sprachgebrauch der Bevölkerung,

Nuwenkirchen dictum Nothafft (A. Dr. Loc. 4333,1), obsciion

der Ort seit mehr als hundert Jahren bereits Neukirchen

hieß. "Nothaft ist der Name eines Egerländischen

Rittergeschlechts, das seit dem 12. Jahrhundert vielfach

im nahen Egerlande auftrat und dort lange ansässig war.")

Jedenfalls gründete ein Nothaft das Dorf, indem er als

locator Siedler in dem stillen Wald tale ansetzte, das wohl

zu seinen Lehen gehörte. Bildete doch zu jener Zeit das

M) 1166: Adalbertus Nothaft — Gradl. Monumenta Egrana Nr. 81.

1225, April 25: Albertus Nothaft de Wiltstein — Schm..

Ukb. I, 51.

1232, Juli 1: duo Nothafti fratres Albertus et Heinricus —

Mon. Boica XXX S. 555.

1254, Sept. 1: AI. dictus Nothaft — ebenda Nr. 105.

1289, März 3: Albertus Albus de Walkenowe (Falkenau)

dictus Nothaft — Nachtr. 3.

 

Schwarzbachtal kirchlich und politisch den äußersten

Ausläufer des Egerlandes. Der adlige Gründer erhielt,

wie meist in diesen Fällen, im Dorfe ausgedehnten Besitz;

ritterliche Guts- und Zinshöfe, die z. T. bis 1444 in Markneukirchcn

b e s t a n d e n , gehen sicher auf diesen Ursprung

zurück (s. w. u.!).

1274 erscheint in einer Urkunde Chunradus de Newenkirchen

als Zeuge in einer Handlung Eberhards v. Milen

mit dem Abte des Klosters zu Waldsassen. Es besteht kein

dringender Grund, in diesem Newenkirchen Bobenneukirchen

zu sehen.25) Demnach wäre zu dieser Zeit das

Siedlerdorf bereits im Besitz einer Kirche gewesen. Außer

Zweifel freilich stehen diese Annahmen nicht, zumal bis

1357 alle weiteren urkundlichen Zeugnisse fehlen.

1357 und 1360 aber erscheint Markneukirchen bereits

als Markt mit besonderen Freiheiten. 1360, April 23. bestätigt

Markgraf Balthasar von Meißen die Kaufleute zu

Nuwenkirchen im Besitz derselben Rechte und Freiheiten,

wie sie Adorf und Oelsnitz erhalten hatten.26)

Adorf, die älteste der Städte in der späteren Amtspflege

Vogtsberg, war in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts,

bestimmt vor 1294, neben einer deutschen bäuerlichen

Kolonistensiedlung dieses Namens am linken

Elsterufer auf freier, steiler Höhe angelegt worden. Es

war eine planmäßige Gründungsanlage, ausgestattet mit

Marktrecht und wohl auch Ratsverfassung: Adorff oppidum.

27) Es hatte um diese Zeit eine Münze und war bereits

Dingstätte, wie aus dem in der Urkunde von 1294

genannten Galgen — patibulum — hervorgeht. Oelsnitz

stellt sich um 1360 als Gründung durchaus gleicher Art

dar: zwischen 1327 und 13562S) von den Vögten als planmäßige

Neuanlage oberhalb des slawischen Dorfes Olsnicz

gegründet, ist es gleichfalls eine typische Stadtgründung

des beginnenden 14. Jahrhunderts und steht im Besitz des

Markt- und Gewerberechts. Auch hat die Stadt 1357

bereits einen Rat.") So sehen wir die Bürger zu Markneukirchen

1360 im BesitzedesMarkt-, Gewerbe- und

") Wenn nach E. Pietschs Annahme M. der jüngere der beiden

Orte ist, hätte wohl eher dieies den unterscheidenden Namen

erhalten.

'") ükb. A. Nr. 9.

") M. U. 110.

s") <Vgl. Pietsch. Entstehung etc. 8. 69 ff.

  1. Vgl. R. R. I. 2.

  2.  

Wohl auch eines gewissen Ratsmäßigen Selbstverwaltungsrechtes.

Die Erhebung zum Markt wird zur selben

Zeit oder wenig später wie die Gründung von Oelsnitz

anzusetzen sein, bestimmt vor 1357. Markneukirchen gehörte

gleich Adorf lange vor 1300 schon zum Gebiete der

Vögte. Diese betrieben eine planmäßige Städtepolitik zur

Festigung ihrer Macht gegenüber den in bedrohlicher

Nähe befindlichen mächtigen Wettinern.30) Zur Befestigung

und Sicherung ihres Grenzbesitzes und der alten

wichtigen nordsüdlichen Handelsverbindung schufen sie

Adorf und Oelsnitz als feste Städte (1358 A. und Olsnicz

die vesten");81) das sie auch den Markt Neukirchen aus

ähnlichen Beweggründen schufen, unterliegt keinem Zweifel.

Als i. J. 1357 V o g t H e i n r i c h d e r Ä l t e r e den

größten Teil seines vogtländischen Besitzes tauschweise

den Wettinern überließ, nahm unser Ort als Markt bereits

eine besondere Stellung ein; er wird zwischen Adorf und

Pausa genannt. Als „Gründer" des Marktes kommt demnach

dieser Heinrich der Ältere oder, da sein jüngerer

Bruder vor ihm (seit 1347) nur kurze Zeit Herr des Vogtsberger

Erbanteils gewesen war, sein Vater Heinrich der

Lange in Frage, der von 1327 bis zu seinem Tode 1347

Herr des Vogtlandes (Plauener Linie) gewesen war. Bei

der Bestätigung der Stadtrechte im Jahre 1464 wird zum

Ausdruck gebracht, der Ort solle seine Freiheiten behalten

und gebrauchen, wie er sie einst „von d e n e n von

P l a u e n " erhalten habe.32) Ferner bezeugt sich die Gründerschaft

der Vögte in

Wappen und Siegel der Stadt.

Diese zeigen seit frühester Zeit ausnahmslos den nach

links aufgerichteten Löwen mit doppeltem, über den

Rücken empor geschwungenem Schweif. Aus dem geöffneten

Rachen schlägt die Zunge hervor. Dieses Bild zeigen,

im wesentlichen übereinstimmend, auch die Wappenschilder

von Plauen, Oelsnitz und Adorf. Es ist das Wappenbild

der Plauener Vögte, und so bestätigt sich auch bei

Markneukirchen der oft beobachtete Grundsatz, das die

junge Stadt das Wappen ihres Förderers annahm.

Vom 15. bis 17. Jahrhundert benutzten Bürgermeister

und Rat ein Siegel von 31/* cm Durchmesser, das die Um-

Vgl. H. Schönebaum, Die Besiedlung des Altenburger Ostkreises,

Leipzig 1917, S. 86.

31) M. U. 412.

Mükb. A. Nr. 77.

 

schrift trägt: S. OPIDIS NEWKIRCHEN.") Vom 17. bis

19. Jahrhundert ist ein kleineres Rundsiegel in Benutzung,

das über dem Wappenschild die Buchstaben SNK trägt,

die auch ein sehr kleines, noch älteres Siegel zeigte. Seit

etwa 1750 endlich war ein ovales Siegel mit der Umschrift

Stadt Neukirchen in Gebrauch, das 1873 durch das jetzige

abgelöst wurde. Das Stadtwappen zeigt im blauen, mit

goldenem Rande versehenen Schilde den goldenen, Rot bewehrten

Löwen.

Die Gründe, die zur Markterhebung des Dorfes führten,

sind leicht erkennbar. Weder militärische noch verwaltungstechnische

Gesichtspunkte können den Landesherrn

bestimmt haben, die orographisch ungünstig gelegene

und strategisch völlig bedeutungslose Siedlung

zum Handels- und Stadtort zu erheben: allein die verkehrsgeographische

Lage des Dorfes an einem alten und

jedenfalls stark benutzten Landwege, also das wirtschaftliche

Moment, ließ seinen Ausbau zum Marktort zweckmäßig

erscheinen. Anlage und Wachstum des Ortes

bestätigen diese Annahme. Das bisher bedeutungslose

Dorf wuchs seit der Erhebung rasch; etwa 30 Jahre

später, 1378, entrichtet die Bürgerschaft einen Zins in

Höhe von 7 Talenten 15 Schilling l1/« Heller. Auch Anlage

und Bild der Siedlung müssen sich wesentlich verändert

haben. Das kurze Zeilen- oder Straßendorf der

Frühzeit erhielt nach der Erhebung einen stattlichen

Marktplatz, an dessen Längsseiten sich die Bürgerhäuser

dicht zusammenschlössen. Der Marktplatz stellt sich")

dar als das stark verbreiterte, westöstlich durch den Ort

laufende Stück der Landstraßen Schönbach—Adorf, Landwüst—

Schöneck, Schönbach—Schöneck, denen der Ort

wesentlich sein Aufblühen verdankte. Ziemlich rasch muß

sich das alte Dorfbild verloren haben und einer regelmäßigen

Marktanlage gewichen sein. Der alte Stadtplan

von Markneukirchen erscheint weit regelmäßiger als die

der übrigen vogtländischen „Märkte" (Falkenstein, Lengenfeld,

Mühltroff, Neumark, Schöneck und Treuen).55)

Von den Nachbarstädten Adorf und Oelsnitz hingegen

unterschied es sich dadurch, daß nicht wie bei ihnen neben

der alten Dorfsiedlung eine neue, regelmäßige Stadt an-

S3) Das ein Vierteljahrtausend benutzte Siegel sagt fälschlich

Opidis"; zu lesen ist natürlich oppidi.

") Vgl. Dichichs Bild v. 1628 und den Stadtplan v. 1839!

") Vgl. Pietsch, Entstehung usw., Stadtpläne!

gelegt wurde. Darum fehlt auch in Markneukirchen die

Altstadt", die bei jenen als Name für den alten dörflichen

Siedlungsteil vorhanden ist. Auch blieb Markneukirchen

immer ein offener, unbewehrter Marktort, während jene

in herausgehobener, wohl geschützter Lage auf überragendem

Bergsporn mit Umfestigung versehen wurden. Selbst

die Urkundensprache macht diesen Unterschied deutlich,

wenigstens bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts, wenn

sie von Adorf schon 1294 als opidum, von Adorf und

Oelsnitz 1357, 1358, 1360, 1378 usw. beharrlich als steten

bez. stetichen spricht. Hierin tritt ihr Charakter als planmäßige

Gründungen klar hervor,3") während Markneukirchen

erst 1426 stat genannt wird, vorher aber immer

nur als markt erscheint. Später heißt es öfter Stadt oder

steigen, obgleich immer wieder auch „markt" genannt.

So hat also die Verkehrslage die Entwicklung Markneukirchens

bestimmt. Als Marktort mit regem Durchgangsverkehr

wies es seine Bewohner auch auf den Handelserwerb

hin. Das ein Teil der Bürgerschaft in der Tat

Handel trieb, bezeugt die Urkunde von 1360, wenn sie von

den „bescheiden kauffleuthen" redet. 1385 begegnet uns

ein Kaufmann Merten Hawer, im 15. Jahrhundert häufen

sich die Beispiele. Nicht zu entscheiden ist freilich, ob es

sich dabei um Kaufleute im strengen Sinne (mercatores)

oder lediglich um Kärrner, Fuhrleute handelte, die ja gelegentlich

auch Waren auf eigene Rechnung führten. Mehr

spricht für das zweite. Auch Geleitsgeld ward bereits im

30) Noch immer herrscht in der Stadtgeschichtsforschung keine

völlige Uebereinstimmung hinsichtlich des Stadtbegriffs im späteren

Mittelalter (vgl. u. a. Erinisch in Wuttke. Sachs. Volkskunde.

Gerlach 1920, Festschrift, Pietsch 1922 S. 118/20, Spieß, Das Marktprivileg,

Heidelberg 1916 und 1923 in den Deutschen Geschichtsblättern).

Wir sind mit Gerlach und Pietsch der Ansicht, das die

wesentlichen Merkmale des spätmittelalterlichen Stadtbegriffs wirtschaftlicher

und rechtlicher Natur sind, während die Frage der Befestigung

nicht dafür entscheidend ist. ob ein Ort Stadt ist oder

nicht. Das auch die Stadtgerichtsbarkeit nicht als wesentliches

Moment gelten darf, hat Gerlach überzeugend dargetan. An dieser

Stelle sei übrigens bemerkt, das Adorf, entgegen Dr. Pietschs Ansicht,

im 14. Jahrhundert nicht ummauert war trotz der Bezeichnung

als veste 1358. Das ältere Adorf war bis ca. 1485 lediglich

mit einem „gekleybeten quinger", mit Palisaden und Toren bewehrt

(vgl. meine Arbeit „Aus Adorfs frühester Geschichte"!). In der

Urkundensprache dieser Zeit scheint die „stat" gegenüber dem

markt" neben der Befestigung besonders die geschlossene, regelmäßige

Marktsiedlung mit meist hervorgehobener Lage anzudeuten.

16. Jahrhundert in Markneukirchen erhoben. Auch bürgerliche

Gewerbe sind für den Markt bereits im 14. Jahrhundert

bezeugt; sinid und wagner erscheinen schon 1385,

der stubener (Bader) 1403. Auch zwei Mühlen waren um

diese Zeit bereits vorhanden.

Über den Ursprung der Ratsverfassung ist nichts zu

ermitteln. Die Annahme, das sie sich allmählich als Gewohnheitsrecht

entwickelt habe, besitzt wenig Wahrscheinlichkeit,

wenn man bedenkt, das zu Oelsnitz schon

bald nach der Gründung, 1357, der Rat belegt ist, und in

vielen Städten Deutschlands der Rat als Körperschaft

sogleich mit der Stadtgründung ins Leben trat (vgl. Spieß,

Deutsche Geschichtsblätter 1923!). Wahrscheinlich hat

doch auch hier wie anderwärts der Landesherr den Männern,

denen er den Ausbau des zum Markt erhobenen

Dorfes überließ, das Recht der Selbstverwaltung verliehen.

1412 jedenfalls ist der Rat vorhanden. In einem

Stiftungsbriefe für die Frühmesse erscheinen Nickel Eberlein,

purgermeyst, Nycol Hawer, Peter Wagner, gesworen

und dy ganze gemein. Hieraus wird auch die zweite

wichtige Funktion der Ratmannen ersichtlich: sie wirkten

im Landgericht „vor gehegter dingbank" als Geschworene.

Das Dorf Nothaft — Neukirchen hatte jedenfalls zur

adorfer Gerichtsstatt gehört; mit der Erhebung zum

Markt wurde es selbst Dingstätte.87) 1378 hören wir vom

gericht gegen Adorff und Nuwenkirchen, und 1385 reitet

der Burgvogt Jan Rabe „ad iudicium bez. ad placita in

Newkirchen". Aller 6 bis 10 Wochen hielt der Landrichter

zu Markneukirchen Gericht. 1426 erscheint Nickel

Guter, die zeit ein Richter; in der zweiten Hälfte des

15. Jahrhunderts ist dieser Richter zu M. öfter bezeugt.

Um dieselbe Zeit wird eine Wiese „unter der martter"

genannt, woraus hervorgeht, das sich beim Markte auch

bereits eine Richtstatt befand.

Über Größe und Grenzen der Stadtflur in frühester

Zeit läßt sich wenig Bestimmtes aussagen. Sicher ist

jedoch, das die Flur des Ortes nach der Markterhebung

sich nicht unwesentlich erweiterte. Zweifellos geschah

hier, was auch von zahlreichen anderen spätmittelalter-

" ) Seit dem Uebergann unseres Oebietes an die Wettiner 1357

war mit der Einführung der AmtsverfassunK die Amtspfieffe oder

Burgvoetei Vogtsberg auch Landtterichtsbezirk geworden. In ihm

bestanden drei Gerichtsstätten (Landschrannen): VosrtsberK. Adorf

und Markneukirchen.

Stadtgründungen festgestellt ist: Bauern des umliegenden

Landes gaben ihre Hofstätten auf, besonders

wenn ihre Ernten auf kargem Boden nur geringe Erträge

lieferten, um nach der Stadt überzusiedeln. Schon das

alte Register" von 1378 kennt in nächster Nähe zwei

Wüstungen: Wernhersgrune und die wüste uff der heyde;

die letztere ist zweifellos an der Stelle des späteren

Schanz- und Sandgrubenholzes zu suchen; der Flurteil

erscheint 1542 parzelliert unter dem Namen „uff der

heyde" und weist holtz, wisen und öd feldt auf. Der alte

Flurname verliert sich im 17. Jahrhundert. Im 15. Jahrhundert

traten uns auch Bernitzgrün und Schönlind als

Wüstungen entgegen, die wenigstens teilweise in die

Stadtflur einbezogen worden zu sein scheinen: der 1499

noch zur Wüstung gehöriges im 17. Jahrhundert in der

Stadtflur liegende und auf der Flurkarte unnatürlich aus

dieser herausspringende vordere Hirschberg und im S der

Fuchspöhl. Auch die Thannhausen scheint um 1500 durch

Aufnahme der Bauern in die Stadt wüst geworden zu sein,

vielleicht auch die Neuneichen (1542 Neun Aychen oder

Aygen); in beiden Flurteilen nennt das Türkensteuerregister

vielfach öd feldt. Eine weitere beträchtliche Vergrößerung

der Stadtflur brachte die Erwerbung von ritterlichen

Lehn- und Zinsgütern durch Rat und Bürgerschaft;

ihr Flurbesitz wurde teils zur Dotierung der Frühmesse

(1405, 1412) verwendet, teils an Bürger ausgetan (1444).

Damit war, spätestens im 16. Jahrhundert, die Stadtflur

auf ihren heutigen Umfang angewachsen.

Das alte Schlösset zu Markneukirchen.

Der ritterliche locator Nothaft hatte jedenfalls in dem

von ihm gegründeten Dorfe seinen Ansitz oder doch ein

Vorwerk, daneben lehensuntertane Bauernhöfe. Als später

das Geschlecht aus dem Orte schwand, gingen die

Güter durch Kauf bez. Tausch an andere ritterliche

Herren der Gegend über. Ein solcher wird der Ritter

Konrad von Newenkirchen gewesen sein, der am 31. Mai

1274 .als Dienstmann des Plauener Vogtes bei Abschluß

eines Vertrages zwischen dem Ritter Eberhard von Mylau

und dem Abte des Klosters Waldsassen Zeuge war.38)

Seit 1400 erscheinen rasch nacheinander mehrere ritter-

38) VkI. Schmidt, urkundenbuch I, 173.

4*

 

52 —

liche Geschlechter in Markneukirchen begütert und ansässig:

1405 der gestrenge Nigkel Tosse, der bereits um

1397 zu Adorf eine Rolle spielte;89) 1412 und 1426 der

erwerge (ehrbare) veste Hannß Rabe dy zeit gesessen czu

Newnkirchen, einer aus dem alten, weitverzweigten, ursprünglich

dem Egerlande entstammenden Geschlechte

der Raben; ferner 1412 Egkehart von Falkenstein als

Lehensherr eines Hofes, und endlich 1444 Klaus von

Uttenhofen und Siegmund (1443 Sigel) Rabe. Alle diese

Geschlechter erscheinen im 13. bis 15. Jahrhundert vielfach

begütert im oberen Vogtlande. Alle ihre in der Stadtflur

gelegenen Güter gelangten nach und nach in den

Besitz der Stadt. 1405 verkaufte Nickel Tosse den Bürgern

der Stadt einen in ihrem Weichbilde gelegenen Hof

zur Stiftung einer Frühmesse, „den hoff er auch in unßere

(d. Markgrafen zu Meißen) hende lediglichin uffgegebin

und sich des vor sich und syne erbin ganz und gar vorzegen

hat". 1412 stiftete der gestrenge Egehardt von

Falkenstein Eynen hoff gelegen daseibist zu Nuwenkirchin,

d e r v o n u n s (den Markgrafen zu Meißen)

zu l e h n g e h e t , zur Frühmesse, mit rechten Fryeheyten

unde nutzen, als er den bißher ynne beseßen...

hat. 1444 endlich erkaufte der Rat von Sigmund Rabe

und Claus von Utenhofen deren in der stat und statflure

gelegene Güter und erhielt sie am 26. Februar d. J. von

Churfürst Friedrich von Sachsen zu rechtem statgute in

Lehen; dorumbe sollen sie alle jare yerlichen 2 nuwe ß

uff Sent Michels tag in myns herrn cammer reichen und

geben ane allen intrag.40) Damit verschwanden die Ritterbürtigen

aus Markneukirchen; es hatte sich hier ein in

den mittelalterlichen Städten oft beobachteter Vorgang

wiederholt: das wachsende bürgerliche Gemeinwesen

bringt die in Stadt und Weichbild gelegenen ritterlichen

Güter an sich. Dasselbe hat sich früher und später auch

zu Oelsnitz und Adorf zugetragen. Aus der Höhe des im

letzten Falle der Stadt aufgelegten Zinses —2neue

Schock — wird die Art des erkauften Rittergutes ersichtlich:

es handelte sich um ein Vorwerk — einen festen

Wirtschaftshof — mit jedenfalls ausgedehntem

3") Vgl. R. R. 1, 34, 64.

,0) Als 1455 der Rat zu Adorf von den Brüdern Erhart und

Caspar von Neytberg das Vorwerk zu Schönfeld erkaufte, wurde

ihm ein Michaeliszins von 1 neuen Schock Groschen auferlegt:

vgl. Krenkel. Blicke usw. S. 86.

Grundbesitz an Feld, Wiesen und Wald.41) Das neue Stadtgut

wurde jedenfalls bald zerschlagen und an Bürger vergeben.

Der in den Amtsrechnungen des 16. Jahrhunderts

verzeichnete Erbzins von Markneukirchen ist Michaelis

um 2 ß höher als Walpurgis. Blieb von diesem Vorwerk

sonst keine Spur zurück, so erlosch doch nicht ganz die

Frinnerung an den 1405 erkauften tossischen Hof. Auch

dieser scheint ein Vorwerk mit festem Hause gewesen zu

sein. Noch im 18. Jahrhundert gehörte zum Diaconatswidum

das „ehemalige Thoß'sche Gut". Dieses lag jedenfalls

mit seinen Zugehörungen am Westausgang der Stadt.

Ein Teil der hinzugehörigen (Diaconats-) Wiesen, nahe

der alten Stadtmühle an der Adorfer Straße — Totengasse

gelegen, kam 1737 oder 1743 durch Kauf an den Schuhmacher

Joh. Adam Wolf; dieser verkaufte sie am 7. Juni

1757 an Johann Georg Ficker zur Erbauung eines Hauses.

Auf dieser Wiese waren 1757 noch die Reste eines Ringwalls

sichtbar: ein kleiner Hügel, um den ein Wall geführt

war, dessen Graben aus dem nahen Mühlgraben

gefüllt werden konnte. „Über diese Wiese, die wohl

unterhalb der unteren Mühle gelegen war, führte ein

Steig, auf welchem die in der Nähe wohnenden Leute das

Wasser aus dem Mühlgraben zu holen berechtigt waren.

Herr Petzold sen. (d. i. der ehemalige Musik- und Zeichenlehrer

und Stadtkassierer P.) bezeichnet Johann Nicolaus

Jehrings Haus, das die Nummer 125 trage, als dasjenige,

wo früher das Schlößchen (auf dem Ringwall) gestanden.

Die Wiese mit dem alten Schlössel sei von Schönfelder

sen. eingeebnet und dabei der Graben ausgefüllt worden.

Außerdem seien Teile von ihr an Karl Friedrich Heberlein

und Wilhelm Eduard Voigt gelangt.") Diese Nachrichten,

die Petzold aus Handelsbüchern des Stadtregisters

entnommen hat, dürfen als Beweis dafür gelten, daß

auch zu Markneukirchen das feste Haus eines ritterlichen

Hofes auf einem bereits vorhandenen oder ad hoc angelegten

Ringwall erbaut war.

Mit der Skizzierung dieser wesentlichen Züge der

frühesten Entwicklung Markneukirchens müssen wir uns

bescheiden.

 

" ) Ukb. B. Nr. 8.

, 2 ) Zum Vorstehenden vgl. Vogtl. Anz. 1899 Nr. 29. Vogtländische

Altertümer LVIII. v. Prof. Dr. Johnson.

 

 

 Quelle: Aus dem altdeutschen übernommen von Erich Wild " Geschichte von Markneukirchen" - Vogtländischer Heimatverlag Franz Neubert GmbH.